Das gesunde Essen macht uns fast krank. Tägliche Beiträge in Zeitungen, Radio und Fernsehen; zum Bersten mit Ratgebern gefüllte Regale zeugen davon. Mit etwas Abstand betrachtet hat es etwas Zynisches, dass ausgerechnet die Menschen in Ländern mit üppigem Nahrungsangebot in den Supermärkten besonders verunsichert sind, wenn es um Ernährungsgewohnheiten geht. Biotomaten sind in, nicht weil sie in der Herstellung weniger fossile Energien freisetzen würden, sondern weil sie als gesund gelten. Es wird auf dem lokalen Markt gekauft, nicht weil man den Bauern seiner Kartoffeln kennenlernen möchte, sondern weil seine Produkte ein gesünderes Leben versprechen.
Gleichzeitig wimmelt es nur so von Ernährungsgurus, Fastenkuren und Vitaminpillen. Auf dem Gipfel der Absurditäten sind die dubiosen Lichtfaster, die vorgeben, sich ausschließlich von Licht ernähren zu können, was nicht einmal Pflanzen können. Dass Pflanzen neben Licht auch noch Wasser, Kohlendioxid und Mineralstoffe benötigen, lernt jedes Kind in der Schule und kann jeder mit seiner Topfpflanze zu Hause nachvollziehen. Auf der seriösen Seite kämpfen die Ernährungsberater, um den wirklich Kranken eine passende Diät zu finden und den wirklich Fettleibigen einen Speiseplan zusammenzustellen, der etwas weniger Kalorien enthält und trotzdem satt macht.
Dazwischen befinden sich all die Verkäufer von Entschlackungskuren, Vitaminpillen und Light-Produkten. Sie drücken auf das schlechte Gewissen und predigen, welche Nahrungsmittel nicht gut und welche absolut notwendig sein sollen. Der deutsche Medizinwissenschaftsjournalist Werner Bartens hat dazu 2014 ein Buch mit dem eindrücklichen Titel „Es reicht – Schluss mit den falschen Vorschriften. Eine Polemik” geschrieben. Ganz im Sinne des Philosophen Frankfurt bezeichnet er das Geschwätz dieser Heilsverkäufer als »groben Unfug – gepaart mit dem überheblichen Gestus des Besserwissers.«
Natürlich stützen sich die meisten dieser Kuren und Pillen auf irgendeine wissenschaftliche Studie. Ganz nach dem Motto: Wenn es ein Wissenschaftler gesagt hat, muss es wohl stimmen. Dass dies so einfach nicht sein kann, wird spätestens klar, wenn eine zweite wissenschaftliche Studie auftaucht, die der ersten widerspricht. Diese schludrige Art mit wissenschaftlichen Studien umzugehen, macht es für Laien, also auch für die Wissenschaftler, die nicht zur Ernährung forschen, unmöglich, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Als simple Regel gilt, die Wahrheit ist meistens nicht so einfach wie die Schlagzeile oder die Werbung suggerieren. Nur ein paar Resveratrol-Pillen schlucken und dabei bei voller Gesundheit nach 120 Jahren sanft einschlafen? Einfach auf Kohlenhydrate verzichten und unser Körper wird seine ideale Form automatisch einnehmen? Dass bei diesen schablonenhaften Erklärungen etwas nicht stimmen kann, würde uns allen auffallen, wenn wir nach dem Werbespruch einen Augenblick innehalten würden.
Zu den meisten Fragen gibt es viel mehr als nur eine Studie. Jede wurde ein wenig anders angelegt, konnte auf anderem Vorwissen basieren und hatte einen anderen Fokus. Die Werber, Prediger und Verkäufer picken sich dabei die Studie heraus, die ihnen ins Weltbild oder in die Verkaufsstrategie passt. Wahrscheinlich ist sie gar die kleinste, billigste und in der bedeutungslosesten Zeitschrift publizierte.
Möglicherweise wurde sie sogar von der Organisation oder dem Unternehmen finanziert, die/das ein Eigeninteresse am Resultat hat. Das ist, wenn klar deklariert, an sich unproblematisch. Zu einem ernsthaften Problem wird es, wenn diese Unternehmen die Artikel von einer PR-Firma schreiben lassen und dann Forscher anheuern, damit diese sich als Autoren zur Verfügung stellen. Solche gekauften Artikel, häufig als seriöse Literaturstudien getarnt, sind in Ärztezeitschriften gang und gäbe.
Aus dem Buch:
Florian Fisch, geboren 1978, arbeitet als freischaffender Wissenschaftsjournalist in Bern. Er studierte Biologie an den Universitäten Lausanne und Neuchâtel, forschte am botanischen Institut in Basel und promovierte im englischen York in Biochemie. Um Wissenschaft und Gesellschaft einander näher zu bringen, schreibt er für den Blog des Kongresses für Wissenschaftskommunikation ScienceComm und pointiert zu Wissenschaft und Medien auf www.sciencesofa.info.