Die Königsdisziplin in der Strukturbiologie ist seit jeher die Bestimmung der dreidimensionalen Struktur von korrekt gefalteten Proteinen. Neben der empirischen Strukturbestimmung durch Röntgenkristallographie, Kernresonanzspektroskopie oder hochaufgelöste Kryoelektronenmikroskopie kommen hierfür immer häufiger Computerprogramme zum Einsatz. Bei der letzten Ausgabe des CASP-Wettbewerbs, sozusagen der Olympiade der Proteinstrukturmodellierer, hat das Programm AlphaFold2, das maßgeblich von einem Tochterunternehmen von Google, der Firma DeepMind entwickelt wurde, mit großem Abstand vor der Konkurrenz in allen Disziplinen gewonnen.
Leistung maschinellen Lernens
Im Schnitt erreichte AlphaFold2 einen Vorhersagewert von 92,4 (maximal 100 sind möglich), während die besten Modelle der anderen Teams typischerweise einen Wert von 75 erreichten. Der Erfolg von AlphaFold2 basiert auf seinem lernfähigen neuronalen Netzwerk, welches millionenfach anhand von Daten bekannter Proteinstrukturen trainiert wurde. Das Programm wendet dabei keine empirisch abgeleiteten Regeln oder bekannte Faltungsmechanismen an, sondern trifft seine Vorhersagen einzig auf der Basis maschinellen Lernens.
Potential und Grenzen der Proteinstrukturvorhersage
Die Fachwelt reagierte begeistert. Es wird erwartet, dass AlphaFold2 das Gebiet der Strukturbiologe drastisch verändern wird, da mit dieser Software z. B. die kompletten Proteome von sequenzierten Organismen vorhergesagt werden können. Es gibt allerdings Strukturen, an denen sich selbst AlphaFold2 die Zähne ausbeißt. Die Struktur variabler Proteinregionen kann nicht vorhergesagt werden, und auch viele Fragen zur Proteindynamik und zu transienten Wechselwirkungen können weiterhin nur experimentell untersucht werden.
aus: Rainer Merkl, Bioinformatik: Grundlagen, Algorithmen, Anwendungen, 4. Auflage, ISBN 9783527349494
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