Stochastik-Abb.

Interview mit Professor Dr. Klaus Günther, 09.08.2023

 

Wie hoch schätzen Sie den Anteil von Fleischersatzprodukten in Deutschland am gesamten Markt für Fleisch und Wurstwaren?

Zurzeit ist jedoch der Marktanteil von Fleischersatzprodukten am weltweiten Gesamtfleischmarkt noch sehr gering und liegt bei ca.1 %. In Deutschland ist der Anteil mit etwa 6 % höher, bei relativer Stabilität des Absatzes der Fleischindustrie.

 

Welche Rohmaterialien sind aus lebensmittelchemischer Sicht für Fleischersatz besonders geeignet?

Vor allem werden Soja- und Weizenproteine für Fleischersatzprodukte verwendet, da sie die notwendigen funktionellen Eigenschaften besitzen. So sind die Wasserbindefähigkeit, die Fähigkeit zum Emulgieren und die Gelbildung wichtig, um eine fleischähnliche Struktur und Textur, sowie ein fleischähnliches Mundgefühl zu erzeugen. Auch andere Pflanzenproteine aus Erbsen und Lupinen sind geeignet. Allerdings muss man bei der Herstellung von Fleischersatzprodukten nicht nur die Proteine im Fokus haben; auch Mikronährstoffe wie Vitamine und Spurenelemente sind wichtig, die oft bei der Proteinisolierung verlorengehen. Das wird aus meiner Sicht in der Entwicklung noch nicht genug beachtet. So genügt es z.B. für eine adäquate Versorgung mit essenziellen Spurenelementen sicher nicht, den Produkten einfach wieder anorganische Salze hinzuzufügen, da die Bioverfügbarkeit entscheidend von deren Bindungsform abhängt. In diesem Bereich müssen in der lebensmittelchemischen Forschung zukünftig bessere Strategien entwickelt werden, um Produkte mit hohem Nährwert zu erhalten.

 

Wie unterscheiden sich die unterschiedlichen Rohstoffe in ihrer Ökobilanz?

Fleischersatzprodukte bieten ein hohes Maß an positiven Effekten auf umweltrelevante Prozesse gegenüber tierischen Lebensmitteln, insbesondere gegenüber Rindfleisch. Nach dem Trendbericht „Fleisch der Zukunft“ des Bundesumweltamtes von 2019 weist Soja als Proteinquelle geringere Treibhausgasemissionen als Weizenproteine auf. Ebenso ist die erforderliche Landnutzung bei Soja geringer als bei Weizen. Der Wasserverbrauch hingegen ist bei Soja höher im Vergleich zu Weizen. Bei dieser Betrachtung ist es wichtig zu unterscheiden, woher die Rohstoffe stammen, da auch der Transport bei Treibhausgasemissionen eine wichtige Rolle spielt. Soja hat weiterhin den Vorteil, dass die Pflanze beim Anbau Stickstoff im Boden anreichert, damit den Boden verbessert und weniger mineralischen Dünger als Weizen benötigt. Dadurch wird die Belastung der Gewässer stark reduziert.

 

Ist es sinnvoll, bei den heute verfügbaren Pflanzenproteinprodukten von „Ersatzprodukten“ zu sprechen?

Einerseits kann es sinnvoll sein, Pflanzenproteinprodukte „Ersatzprodukte“ zu nennen, um Konsumenten dabei zu unterstützen, die passende Alternative für Fleisch-Standardgerichte zu finden. Damit wird der Einstieg in die fleischlose Ernährung sicher erleichtert. Andererseits suggeriert das Wort “Ersatzprodukt”, dass es das tierische “Original” ersetzen könne. Das ist jedoch nie ganz der Fall, denn beide unterscheiden sich in Geschmack, Textur und Nährwert. Weiterhin haben Pflanzenproteinprodukte auch ihre eigene Daseinsberechtigung, da nicht jedes Produkt als Ersatz dient, z.B. Tofu aus Soja oder Seitan aus Weizen.

 

Werden pflanzliche Fleischersatzprodukte langfristig tierische Produkte ganz ersetzen können?

Dies ist sicherlich eine wichtige und notwendige Entwicklung. Weltweite Prognosen zeigen jedoch, dass der Umsatz der Fleischindustrie in den nächsten Jahren viel stärker steigen wird als bei den Herstellern von Fleischersatzprodukten, sodass insgesamt global eine Erhöhung des Fleischkonsums stattfinden wird. Dies bedeutet, dass die Welt hinsichtlich der Ernährung durch Fleischersatzprodukte erst ganz am Anfang steht. Für die zukünftige Entwicklung spielt die globale Akzeptanz und die lebensmittelchemische Qualität der Fleischersatzprodukte eine große Rolle. Dies sind nach meiner Einschätzung die entscheidenden Punkte dafür, ob sich langfristig tierische Produkte ganz ersetzen lassen, und damit auch eine interessante Herausforderung an die Forschung im Bereich der Lebensmittelchemie.

Prof. GuentherProf. Dr. Klaus Günther ist einer der Autoren der dritten Auflage des Taschenatlas der Lebensmittelchemie (ISBN 9783527349067)

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