Wann entstanden erste Zahlensysteme? Bald nachdem der Mensch zu sprechen begonnen und diese Sprache zum Kommunizieren ebenso wie zum Denken zu nutzen gelernt hatte, dürfte er auch seine zehn Finger und andere Gegenstände zum Abzählen verwendet haben. Sehr rasch musste er die Tiere eines Rudels, insbesondere die gefährlichen, die Tage einer Mondphase und die Mondphasen eines Jahres abzählen. Die Jagd musste durch Absprechen geplant werden, andernfalls hätten die Jäger keine Chance gehabt.
Die Himmelsbeobachtung – vorwissenschaftliche astronomische Praxis – erlaubte die verlässlichsten Voraussagen für kommende Jahreszeiten. Regenzeit, Jungtierzeit, Erntezeit und Frostzeiten ließen sich an den Gestirnen ablesen. In Ägypten kündete das Auftauchen des Sirius in der Morgendämmerung den Beginn der jährlichen Nil-Überschwemmungen an. Diese Beobachtungen mussten unterrichtet werden, weil ihre Perioden vielfach die Lebensspanne eines Einzelnen überstiegen. Im Gegensatz zu Jagdfertigkeiten, die man sich durch praktischen Unterricht aneignen konnte, waren diese Erfahrungen vom Hörensagen der Beginn des theoretischen Unterrichts.
Frühe Zahlensysteme
Bald begann der Mensch auch, die Resultate der Zählung zu notieren. Die ältesten Zählzeichen, die wir seit der Altsteinzeit kennen, sind Kerben auf Tierknochen aus der Zeit vor 35.000 Jahren oder Striche I, II, III, IIII, IIIII, … auf Felswänden. Diese Zählzeichen sind bis heute in Gebrauch, z. B. auf Bierdeckeln, wie man sich in deutschen Bierkneipen und auf dem Münchner Oktoberfest überzeugen kann.
Die Römer haben elegante Abkürzungen eingeführt wie V, X, L und C für 5, 10, 50 und 100 Striche. Die Notation war additiv in absteigender Reihenfolge, größere vor kleineren Zeichen. So steht CCXXVIII für 228. Positionsschreibweisen waren einzig die Konventionen, kleinere Zeichen vor größeren abzuziehen. So steht IV statt IIII für 4, IX statt VIIII für 9, XCVII statt LXXXXVII für 97. Das war übersichtlicher, ließ sich leichter in Marmor meißeln und hat über zwei Jahrtausende die Schüler verwirrt. Die römische Ziffer V können wir auf eine gespreizte Hand zurückführen, die Ziffer X auf zwei gekreuzte gespreizte Hände. Die Redewendung, jemand ein X für ein U vorzumachen, bedeutet, jemand eine Zehn für eine Fünf vorzumachen: Im Mittelalter wurde das V handschriftlich meist als U geschrieben.
Damit ist das römische Zahlensystem immer noch sehr steinzeitlich. Die Ägypter, Babylonier und die Griechen hatten sehr viel ausgefeiltere Zahlensysteme, die eine sehr viel effizientere Mathematik hervorgebracht haben.
Der Weg des Dezimalsystems
Unser heutiges Zahlensystem, das Dezimalsystem in Positionsschreibweise, stammt aus Indien, war den arabischen Mathematikern in Bagdad seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts bekannt und kam im 12. Jahrhunderts über den arabischen Kulturraum, über Toledo in Spanien und Palermo in Sizilien nach Europa. Das erste abendländische Rechenbuch darüber wurde 1202 von Leonardo da Pisa (ca. 1170-1240), genannt Leonardo Fibonacci verfasst. Fibonacci ist den Börsianern bis heute aus der Chartanalyse bekannt.
Aus: Barth, Die Kunst des Zählens, Wiley-VCH, Weinheim, 2022
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